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Wasserstoff: „Wir erwarten einen großen Markt“

November 6, 2023
Worauf es für einen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft ankommt und in welchen Bereichen die Bundesregierung jetzt gefordert ist: Latham Energie & Infrastruktur Partner Dr. Tobias Larisch im Gespräch mit der RWE-Managerin Jasmin Kaboni-Voit und Dr. Dirk Flandrich vom Leitungsnetzbetreiber Gascade.

Larisch: Frau Kaboni-Voit, Herr Flandrich, ich freue mich, dass ich für dieses Gespräch zwei führende Industrieexperten von der Erzeuger- und der Transportseite gewinnen konnte. Warum spielt Wasserstoff für die grüne Transformation der Wirtschaft eine zentrale Rolle?

Kaboni-Voit: Wenn Deutschland ein führender Industriestandort bleiben soll, kommen wir am grünen Wasserstoff nicht vorbei; denn die Industrie kann nicht alle Bereiche elektrifizieren. Es gibt Sektoren, in denen eine Elektrifizierung technisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Wasserstoff soll Erdgas, Öl und Kohle in Chemiefabriken oder Stahlhütten, Kraftwerken und im Schwerlastverkehr ersetzen und kann als Basis für Kraftstoffe im Schiff- und Flugverkehr dienen. Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit im Stromnetz ist Wasserstoff als Speichermedium für grünen Strom erforderlich. Wir stehen deshalb am Anfang einer Entwicklung, die Erzeugung großskaliert auszubauen. Im Moment ist das enorm teuer. Elektrolyseure werden heute weitgehend in Einzelanfertigung und damit zu hohen Kosten produziert. Eine spätere Produktion in Serie wird die Kosten deutlich sinken lassen. Grüner Wasserstoff wird so schrittweise an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen.

Larisch: Das Ziel für Deutschland ist eine Gesamtleistung von 10 Gigawatt bis 2030, wobei derzeit nur 0,1 Gigawatt installiert sind. Was sind die größten Investitionshindernisse?

Kaboni-Voit: Es gibt eine Reihe von Hemmnissen, aber man muss die Politik hier auch ein wenig in Schutz nehmen: Denn für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft muss vieles gleichzeitig passieren, und das macht es schwierig. Da die Elektrolyseure große Mengen an Grünstrom brauchen, ist der Ausbau erneuerbarer Energien ein zentraler Hebel. Dafür sind kürzere Genehmigungsverfahren und mehr verfügbare Flächen nötig. Zudem braucht es mehr Förderung samt schnelleren beihilferechtlichen Prüfungen.

Ein europäischer Rahmen ist nötig, der Projekte ermöglicht und nicht verhindert: Letztlich gilt es, den Lösungsraum zu maximieren und zunächst jedes grüne Elektron für grünen Wasserstoff nutzbar zu machen. Mit dem Delegierten Rechtsakt zu RED II (Erneuerbare-Energien-Richtlinie) haben wir eventuell nicht den perfekten Rahmen, aber wir haben endlich einen, der es ermöglicht, mit unseren Projekten loszulegen. Mit der RED III werden wir das erste Mal grüne Wasserstoffziele in der Industrie haben. Außerdem braucht es ein Marktdesign, das wasserstofffähige Gaskraftwerke unterstützt.

Positiv ist jedenfalls, dass in relativ kurzer Zeit ein Wasserstoff-Kernnetz auf den Weg gebracht wurde. Es braucht eine integrierte Planung von Stromnetz, Gasnetz und Wasserstoffpipelines (inklusive staatlicher Anreize für eine schnelle Umwidmung bestehender Pipelines). Wichtiger Schritt ist hier das geplante Wasserstoff-Kernnetz, wobei zeitnah auch eine Entscheidung über die Finanzierung getroffen werden muss.

Flandrich: Jetzt muss die Bundesregierung die Voraussetzung für die Bundesnetzagentur schaffen, um das Kernnetz, das wir mit anderen Leitungsnetzbetreibern konzipiert haben, auch verabschieden zu können. Noch sind wir im Entwurfsstadium, noch kann die Bundesnetzagentur nicht entscheiden. Zudem gibt es noch keinen Rahmen, wie wir Geld verdienen dürfen — den brauchen wir aber, um investieren zu können. Wir erwarten, dass es in Deutschland am Ende einen großen Wasserstoffmarkt geben wird. Aber wir müssen auch für andere Szenarien gewappnet sein. Deshalb müssen die Rahmenbedingungen jetzt schnell geklärt werden.

Larisch: Ein neues staatliches Transportnetz scheint vom Tisch zu sein: Ein Großteil der Wasserstoffleitungen soll durch bisherige Erdgas-Pipelines bereitgestellt werden. Sind dafür aufwändige Umrüstungen nötig?

Flandrich: Wir wollen über 1000 Kilometer von der Ostsee in Richtung Baden-Württemberg umstellen, das sind alles bestehende Leitungen. Wir können uns das leisten, weil wir dort teilweise drei Leitungen parallel liegen haben. In neuen Versorgungsszenarien mit Flüssigerdgas könnten wir uns vorstellen, eine dieser Leitungen für den Transport von Wasserstoff zu nutzen. Technisch ist das unseres Erachtens machbar. Das Netz und der Stahl können das, auch wenn das Druckspiel im Betrieb nicht zu hoch sein sollte.  

Dr. Dirk Flandrich

Larisch: Wie wichtig sind Importe für die Versorgungssicherheit? Und wie können wir Abhängigkeiten (wie z.B. beim Erdgas) verhindern, was das erklärte Ziel der Bundesregierung ist?

Flandrich: Unsere größten Projekte hängen mit Pipeline-Importen zusammen. Wir planen in der Nordsee eine Sammelleitung, durch die Wasserstoff aus deutschen Offshore-Projekten und Nordeuropa fließen kann. In Lubmin an der Ostsee können wir ebenfalls importieren. Wir glauben, dass Importe aus Europa auch Vorteile haben, weil wir Wasserstoff direkt aus einem sicheren Umfeld bekommen. In Ländern wie Namibia mag die Herstellung günstiger sein, aber der Transport ist wesentlich komplexer.

Kaboni-Voit: RWE ist Partnerschaften mit Unternehmen in vielen verschiedenen Ländern eingegangen. Wir brauchen Länder wie Chile und Namibia, aber ich möchte ebenso wie Herr Flandrich dafür werben, die innereuropäischen Partner wie Norwegen und Dänemark zum Beispiel nicht zu vergessen.

Jasmin Kaboni-Voit

Larisch: Wenn Wasserstoff überwiegend in Norddeutschland ankommt, sei es als Import oder von deutschen Offshore-Projekten: Stellt uns das nicht unnötig vor dieselben Herausforderungen wie bei den Nord-Süd-Stromtrassen? Wie wichtig ist lokale Erzeugung?

Kaboni-Voit: Wichtig. Wir brauchen alles! Wir müssen groß und klein denken. Auch eine heimische Produktion für die lokale Industrie ist unverzichtbar. Der Standort Lingen spielt zum Beispiel eine Schlüsselrolle in RWEs Wasserstoffstrategie. Bis 2027 wollen wir in Lingen eine Elektrolyse-Kapazität von 300 Megawatt schaffen. In allen Bereichen der Industrie muss man starke Anreize für die Wasserstoffproduktion setzen. Angebot und Nachfrage müssen Hand in Hand wachsen.

Larisch: Wie sieht es eigentlich beim Thema Speicherung und Lagerung aus?

Flandrich: Da ist mehr Tempo notwendig. Eine Umrüstung bestehender Speicher ist zeitintensiv und teuer, deshalb ist es wichtig, rechtzeitig anzufangen. Bisher fehlt aber ein Regulierungsrahmen oder überhaupt ein wirtschaftlicher Rahmen für die Speicherbetreiber.

Larisch: Stichwort Förderung: Was sind hier aus Ihrer Sicht die wesentlichen Stellschrauben?

Kaboni-Voit: Jede neue Industrie braucht ihren Anfang. Staatliche Anschubfinanzierung sowohl für die Produktions- als auch für die Abnehmerseite kann den Markthochlauf für Projekte ermöglichen. Dass das Ziel der nationalen Wasserstoffstrategie formal auf 10 Gigawatt erhöht wurde, ist zu begrüßen. Es fehlen jedoch entsprechend hinterlegte Fördermaßnahmen, die für die Wirtschaftlichkeit von Wasserstoffprojekten, vor allem zu Beginn, unerlässlich sind. Auf europäischer Ebene zeigen die kürzlich veröffentlichen Konditionen für die ersten Ausschreibungen unter der H2Bank in die richtige Richtung. Aber die heutige Förderpraxis ist sehr kompliziert: Jedes einzelne Projekt muss sich bewerben und qualifizieren, was sehr langwierig ist und den dringend benötigten Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft verzögert. Einfachere, pragmatische Regeln wären wirklich wünschenswert. Die USA zeigen mit dem Inflation Reduction Act, wie es funktionieren kann.

Flandrich: Wichtig sind zudem deutlich schnellere wettbewerbsrechtliche Ausnahmegenehmigungen auf EU-Ebene. Bei den IPCEI-Verfahren bspw. ist Brüssel ein echter Engpass — das merkt man deutlich.

 

Das Gespräch mit Jasmin Kaboni-Voit und Dr. Dirk Flandrich fand im Rahmen des jüngsten Latham Infra Circle zum Thema „Wasserstoff: Perspektiven und Herausforderungen“ statt. Viermal im Jahr bietet der Latham Infra Circle eine Plattform für Diskussionen und Austausch über aktuelle Trends und Herausforderungen mit Experten der Energie- und Infrastrukturbranche.

Endnotes

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